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Rezension:Havanna - Michael Eastman

Der Fotograf Michael Eastman hat gemeinsam mit der Autorin Achy Obejas und der Fotografiekritikerin Vicki Goldberg diesen traumhaften Bildband mit Impressionen von Havanna auf den Weg gebracht.

Achy Obejas hat das Vorwort verfasst. Hier schreibt sie eingangs, dass sie gleich beim ersten Mal, als sie auf Eastmans Fotos stieß, von "der Stille und den Geistern" dort beeindruckt war. Die kubanische Hauptstadt Havanna wurde 1515 gegründet und wirkt laut Obejas in Eastmans Bilderwelten abwechselnd wie Madrid, Sevilla, Paris, Leningrad, Harlem, Lagos und Beirut. Dem kann ich nur bepflichten.

Der Fotograf durchstreifte auf vier Reisen zwischen 1999 und 2010 die Insel, öffnete mit "Charme, Bitten und Geld" die Türen, die ihm an sich nicht offen standen und "hielt mit seiner Kamera die Zeit an".

Vicky Goldberg schreibt zum Ende des Buches in ihrem Essay, dass die exquisit verfallenen Räume nicht nur vom Geschmack oder der Klasse der einstigen Bewohner erzählen, sondern auch vom Sturz der Erfolgreichen und Reichen durch die Revolution und der Tatsache, dass das Land anschließend von seinen sowjetischen Unterstützern im Stich gelassen und von den USA boykottiert worden sei. Dennoch begreift Eastman seine Bilder als unpolitisch: "Wahrscheinlich, weil ich kein Recht habe, ein politisches Statement abzugeben. Ich verstehe die Fotografie vom Herzen her, nicht vom Kopf, und je weniger Wirrwarr, desto freier fühlt mein Herz",(Zitat: S.130).

Goldberg weist darauf hin, dass die leidenschaftliche Liebe der Menschen Havannas zu Farben- als könnten große Mengen von Grün und Türkis, Rot, Blau und Mattgold die Seele nähren - ein unverzichtbarer Teil ihrer Geschichte sei. Sie zitiert Eastmann, der erklärt, es gäbe wenig Wandfarbe in Kuba. Aus diesem Grunde werden die Wände nicht gestrichten. Die Farbe sei nicht selten fünfzig Jahre alt. Schön seien die Farbtöne, weil sie unberührt geblieben sind und die Lage am Meer, Salz, Feuchtigkeit sowie die grelle Tropensonne wirkten auf die verschiedenen Schichten, die allmählich von Wind, Wasser, Sonne, Zeit, Zufall und Menschenhand freigelegt werden, (vgl.: S.131). Auch das stimmt.

Es führt zu weit, den ganzen Essay inhaltlich wiederzugeben. Gesagt werden kann, dass man die Bilder besser begreift, wenn man den Essay gelesen hat.

Das schöne Morbide kennt man in anderer Form auch aus Venedig oder im Herbst, wenn die Blätter fallen. In Havanna ist der Verfall enorm fortgeschritten. Man bangt bei jedem Foto, ob der nächste Tag nicht schon das Ende für einen der abgelichteten Räume bedeutet. Ich zwinge mich, alle Bilder unpolitisch zu betrachten und mich ausschließlich am morbiden Schönen zu ergötzen. "Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis". Goethe hat Recht, wie so oft.

Auf einem der ersten Bilder sieht man einen herrschaftlichen Raum, die Farbe an den Wänden ist abgeblättert. Eine chinesische Porzellanvase wirkt beinahe neu. Ob der Raum noch bewohnt ist, bleibt offen, wie bei den meisten der gezeigten Räume, allerdings lassen einige Kleinigkeiten darauf schließen, dass es Bewohner gibt. Wie viel kubanische Musik muss man hören, um den abblätternden Putz und den Schimmel nicht mehr zu sehen?

Nein, es hat mich nicht belustigt, die frisch gewaschene Wäsche in einem heruntergekommenen Salon hängen zu sehen, an dessen Decke ein schwerer, kostbarer Lüster prangt. Erneut fällt mir Goethes Sentenz ein: "Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis".

Etwas Neues entsteht nur dort, wo das alte absolut tot ist. Hier in Havanna ist es nicht tot, es vegetiert, kann nicht sterben, sondern verfault und verwest am lebendigen Leib. Alle Bilder mache das deutlich.

Es fällt mir schwer, mich an der morbiden Schönheit zu weiden. Ich gebe zu, ich kann es nicht. Der Verwesungsprozess ist eine Zumutung für die Bewohner.

Wer wohnt heute in diesen alten Patriziergebäuden? Die Häuser sind vermutlich bewohnt, man ahnt es aufgrund von Kleinigkeiten (Blumen, Bücher, Schallplatten) auf den Bildern. Lieben die Menschen ihre Stadt? Würden sie lieber die morbide Pracht, durch neue zeitgemäße Häuser ersetzen, wenn sie die Mittel dazu hätten? Was sind die Reichen dieser Welt dem Weltkulturerbe schuldig? Fehlt ihnen die Liebe, um für den Erhalt der alten Gebäude zu kämpfen?
Empfehlenswert.

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