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Rezension: Frauen, die lesen, sind gefährlich.- Stefan Bollmann

Dieses Buch mit dem erfrischend provokativen Titel "Frauen, die lesen, sind gefährlich" enthält eine Fülle von Gemäldeablichtungen lesender Frauen namhafter Künstler und eloquente Texte, die sich mit Philosophinnen, Frauenrechtlerinnen, Leserinnen verbotener Bücher, Heiligen, Sünderinnen, bibelfesten Leserinnen, Müßiggängerinnen, Genießerinnen, einsamen Leserinnen, Verführten und Verführerinnen, gefährliche Leserinnen, Lehrerinnen, Salondamen,Vorleserinnen, Reisenden, Lebenskünstlerinnen und modernen Leserinnen befassen.

Bei den Gemälden handelt es sich u.a. um Kunstwerke von Maurice Quentin de la Tour "Emile du Chatelet", Edourd Gelhay "Elegante Damen in einer Bibliothek", Gwen John "Die Studentin", Lincoln Seligman "Head Mistress", Joseph Wright of Derby "A Girl readinga Letter, with an Old Man reading overher shoulder", Émile Lèvy "Der Liebesbrief", Hans Olaf Heyerdahl "Am Fenster", Julius LeBlanc Stewart "Sarah Bernhardt und Christine Nilsson" und anderen mehr.

Der Autor verdeutlicht eingangs, dass auf den Bildern des Mittelalters und der frühen Neuzeit quantitativ mehr männliche als weibliche Leser vertreten waren und sich das Verhältnis seit dem Goldenen Zeitalter der holländischen Malerei umzukehren begann. Lasen die auf den Bildern dargestellten Frauen zunächst Andachtsbücher, kamen im 17. Jahrhundert der Brief als bevorzugtes Objekt hinzu. Später dann sieht man auf den Bildern Frauen Romane lesen. Das Lesepublikum des 18. Jahrhunderts bestand in erster Linie aus Frauen, wenn es sich um Romane handelte.

Bollmann nennt Romane Parallelwirklichkeiten, "sich in ihnen zurechtzufindenden und die sie bevölkernden Personen auf ihren Weg durch die Zeit zu begleiten, schult gleichwohl Fertigkeiten, die auch im wirklichen Leben wesentlich sind, so etwa die Fähigkeit, die Zustände und Einstellungen anderer Menschen und nicht zuletzt der eigenen Person zu analysieren und beurteilen zu können," (Zitat: S.16). Die Literaturwissenschaftlerin Hannelore Schlaffer nennt den Roman das Sachbuch der Frau, (vgl.: S.17). Ob Romane klug machen, möchte ich bezweifeln, klug machen einzig die Tiefschläge im Leben. Dass lesende Frauen nicht so leicht lenkbar sind, dürfte jedem klar sein, zumindest dann, wenn sie ein gerütteltes Maß an Intelligenz besitzen. Intelligente Frauen sind nie gefährlich, gefährlich (unberechenbar) sind eher dumme Frauen und natürlich auch dumme Männer, weil man nicht einschätzen kann, wie sie sich verhalten.

In der Folge geht der Autor näher auf die einzelnen Bildinhalte ein und wartet mit kleinen Essays zum Thema Lesen auf, die den Titel "Lesen befreit", "Liebes Buch mach mich fromm", "Die Stunde der Frauenzimmer", "Der Purpurpalast der Sünde", "Professionelle Leserinnen", "Leserinnen im Aufbruch" tragen. Im Rahmen des Essays "Lesen befreit", liest man, dass der Historiker Arthur Imhof nachgewiesen hat, dass der Rückgang der Kindersterblichkeit in Europa mit der Zunahme der Lesefähigkeit korreliert. Das hängt damit zusammen, dass lesende Frauen in der Lage sind, sich über Hygiene und Verhütungsmaßnahmen zu informieren. Lesende Frauen begannen andere Ansprüche an das eigene Leben zu stellen und eine stärkere Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen. Frauen, die lesen, sind nur in den Augen all jener gefährlich, die ein Problem mit der Aufklärung haben und glauben, ungebildete Frauen besser beherrschen zu können.

Die einzelnen Bilder werden sehr gut beschrieben und es werden immer auch Hintergründe zu den Motiven differenziert erklärt. So erfährt man Näheres zu der von Maurice Quentin de la Tour gemalten Emilie du Chatelet, die fünfzehn Jahre lang die Geliebte Voltaires war. Diese hochgebildete Frau hat mit Voltaire gemeinsam die allgemeinverständliche Darstellung der Physik Isaac Newtons verfasst. Das bestätigte Voltaire übrigens öffentlich. Die blitzgescheite Dame verstarb im Kindbettfieber. Voltaire lässt die Nachwelt wissen: "Das kleine Mädchen wurde geboren, als seine Mutter an ihrem Schreibtisch war, newton`sche Theorien schreibend. Das Neugeborene wurde auf das Geometriebuch gelegt, während die Mutter ihre Papiere einsammelte und zu Bett gelegt wurde. Wenige Tage später verstarb Emilie am Kindbettfieber,"(Zitat: S.26).

Der Autor zeigt dem Leser mittels eines Bildes, auf dem junge Damen in einer Privatbibliothek aus dem 19. Jahrhundert dargestellt werden, dass der Maler der Lesefreude der Frauen ablehnend gegenübersteht. Subtil unterstellt der Maler, dass die Frauen dort nur Unordnung machen, weil sie ohne Sinn und Verstand die Bücher zur Hand nehmen.

Auf den Bildern wird der Umgang der Leserinnen aus vergangenen Jahrhunderten mit verbotenen Büchern thematisiert, gezeigt wird auch die wilde Entschlossenheit mit der eine junge Studentin im 19. Jahrhundert sich mit Büchern befasst hat. Dazu muss man wissen, dass damals gerade erst das Frauenstudium eingeführt worden war und junge Studentinnen besonders entschlossen sein mussten, um sich in der Männerdomäne zu behaupten.

Die moderne Frau ist eine Kopfarbeiterin, so lautet die Botschaft des Gemäldes "Head Mistress" von Lincoln Seligman. Wie der Autor treffend bemerkt, ist eines der zentralen Merkmale der heraufziehenden Wissensgesellschaft die Erosion überkommener Machtstrukturen, (vgl.: S. 43). Bewusst lesende Frauen sind konzentriert, selbstdiszipliniert und besitzen ein höheres Sprachvermögen. Macht sie dies gefährlich? Möglicherweise in den Augen von Schwachmaten. Voltaire liebte eine Intellektuelle. Männer sollten sich an Voltaire orientieren, um nicht als Schwachmaten zu gelten.:-))

Bollmann beschreibt ein Bild Quentin Massys "Der Geldverleiher und seine Frau". Mir gefällt die Interpretation des Bildes sehr gut, das dazu auffordert ein rechtschaffenes ausgewogenes Leben zu führen, "das die beiden Pole Aktion und Kontemplation, Geschäftigkeit und Lektüre, Diesseits und Jenseits richtig zu gewichten versteht."(Zitat: S. 50).

Eines der mich beeindruckendsten Bilder im Buch ist das Gemälde mit dem Titel "A Girl reading a Letter, with an Old Man reading over her shoulder". Um welche Art von Brief es sich handeln könnte, sei dahin gestellt. In meinen Augen lesen Vater und Tochter den Reisebericht des Bruders oder der Mutter der jungen Frau. Der Vater liest kritisch und leicht skeptisch, die Tochter ein wenig wehmütig, weil sie sich auch nach der Fremde sehnt. Zwischen Vater und Tochter besteht Vertrautheit. Der Vater möchte seine Tochter beschützen und engt sie dadurch ein wenig ein.

Gefallen hat mir auch das Gemälde "Der Liebesbrief", der für viele Frauen vermutlich die schönste Lektüre darstellt und natürlich auch die Abbildung des Gemäldes von Georg Melchior Kraus "Tafelrunde bei Anna Amalia", das ein Ausdruck für die Bildung der Weimarer Tischgesellschaft war, an der dank Anna Amalia auch Frauen Platz fanden.

Ein gelungenes Buch, das sich zu lesen lohnt. An den Bildern habe ich viel Freude, weil sie Frauen bei einer Beschäftigung zeigen, die sie immer mehr aufzuklären vermag.


Bilder: © Aus dem besprochenen Band „Frauen, die lesen, sind gefährlich und klug“, Elisabeth Sandmann Verlag München, 2010 mit freundlicher Genehmigung.

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