Der Jugendstil "ist das Träumen, man sei erwacht." (Walter Benjamin)
Norbert Wolf ist der Autor dieses wunderschönen, reich bebilderten Kunstbuches, das sich ausführlich mit dem Jugendstil befasst. Jugendstil ist die deutsche Bezeichnung für eine Kunstströmung zu Beginn des letzten Jahrhunderts.
Der Autor hat das Buch in acht Kapitel untergliedert. Bei diesen handelt es sich um:
-Der neue Stil -Eine Annährung
-Stilfragen
-Die Physiognomie des Stils
-Präludien
-Aufbruch allerorten
-Bild Systeme
-Jugendstil und Avantgarde
-Resümee und Ausblick
Jugendstilkünstler, speziell die Repräsentanten des Kunstgewerbes hatten in der Regel keine Berührungsängste gegenüber dem Kommerz und dem modernen Warenverkehr. Die Plakatkunst prosperierte nicht nur in Paris und London, auch in anderen Großstädten Europas.
In Deutschland wurden nicht selten Bildmotive des Malers Franz von Stuck verwendet. Man liest von der neuen Lichtästhetik, den Reformkleidern jener Tage und erfährt überhaupt, wie der Jugendstil auf die moderne Konsumwelt reagierte. Erläutert wird u.a., ob das im Jugendstil ausgedrückte Selbstbewusstsein dazu berechtigt, im kunstwissenschaftlichen Sinne von einem Stil zu sprechen.
Es wird der Frage nachgegangen, ob der Jugendstil wegen seines Hangs zu Einheitsvisionen und spiritualisierter Ästhetik für den Bau und die Ausstattung von Kirchen prädestiniert gewesen sei. In diesem Zusammenhang lernt man bekannte Sakralarchitekturen des Jugendstils kennen und sollte wissen, dass dieser Stil in summa recht wenige Kirchenbauten von Format hervorgebracht hat.
Thematisiert wird der paradigmatische Vergleich mit dem Renaissancestil, der den Hang des Jugendstils zum Gesamtkunstwerk zu verstehen hilft.
Man liest von dem Kult der Schönheit, der Magie des Schmucks im Jugendstil und hat Gelegenheit sich in viele Bilder zu vertiefen, sich mit gebauten Symphonien zu befassen und kann immer wieder schöne Objekte bestaunen. Ornamente und Linien werden beleuchtet und man erfährt, dass die Virulenz der Blüten, der bewegten Frauenleiber und des wallenden Frauenhaars in der Jugendstil-Ornamentik nicht so schnell vorbei war, wie es van der Velde wünschte. Auch kommt der Japonismus zur Sprache, sowie der englische Weg und hier nicht zuletzt die Präraffaeliten.
Die französischen Propheten wie Toulouse -Lautrec werden nicht ausgespart, der Symbolismus ist ein weiteres Thema und der Aufbruch allerorten.
Mich haben die vielen wunderbaren Bilder und Fotos überwältigt, natürlich auch jene von Mucha. Seine dekorative Graphik ist einfach schön.
Beeindruckend auch sind die Glasschöpfungen von Gallé. Er hatte für seine Manufaktur in Nancy ein exzellentes Team von Glaskünstlern zusammengestellt, auch gehörte einer der führenden Designer Frankreichs, Jaques Gruber, dazu. Man lernt viele Größen des Jugendstils kennen, unmöglich sie alle hier zu benennen. Victor Horta, der bedeutendste belgische Architekt, ein Pionier der Moderne, ist einer von ihnen. Man hat Gelegenheit einige Arbeiten dieses Architekten anhand von Fotos zu bewundern. Großartig. Sehr beeindruckend.
Antoni Gaudi wird vorgestellt. Hier kann man seine wunderschönen Bauten in Barcelona bestaunen und Wissenswertes über den Künstler und sein Werk erfahren.
Worpswede wird nicht vergessen und auch nicht die Künstler der Darmstädter Mathildenhöhe. Weimar ist nicht nur mit den Namen Goethe und Schiller, sondern auch mit Van de Velde und Walter Gropius verbunden. Über deren Aktivitäten in Weimar wird man aufgeklärt und über den Jugendstil in Wien und in den USA.
Leben und Werk der Künstler Franz von Stuck, Gustav Klimt, Ferdinand Hodler und Eduard Munch werden breitgefächert erörtert und man liest vom Verhältnis des Jugendstils zum Funktionalismus des frühen 20. Jahrhunderts. Dieser wollte die Kunst im Gebrauchszweck aufgehen lassen und wollte aus diesem Grunde auf "überflüssige" Dekoration verzichten.
Auf den letzten Seiten, hier wird ein Resümee gezogen, habe ich einen Satz von Walter Benjamin entdeckt, der mir so gut gefällt, das ich ihn für die Kopfzeile verwende.
Diesen Bildband kann man nicht genug loben. Abgesehen von den eloquenten Texten, ist das Buch ein Fest für die Augen. Nicht nur der Goldschnitt macht es selbst zu einem Kunstwerk.
Empfehlenswert.
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