Der Psychoanalytiker Tilmann Moser hat ein bemerkenswertes Buch auf den Weg gebracht. Er analysiert 20 Kunstwerke und zeigt auf, dass die Bilder ein Spiegel der Seele sind.
In seiner Einführung schreibt er, dass es kein besseres Kriterium für die seelischen Reaktionen auf ein Werk gibt, als den formulierbaren Nachhall im eigenen Inneren, wobei dieser im Lauf der Zeit durchaus schwanken kann und zwar nach den dominanten Grundthemen der Bilderfahrung.
Moser erwähnt in seiner Einführung natürlich Sigmund Freud und dessen Überlegungen zu "Der Wahn und die Träume in W. Jensens "Gradiva". Diese Überlegungen entstammen nicht zuletzt seiner Theorieentwicklung.
An anderer Stelle macht er klar, dass der geübte "Schauende" bei einer Bildbetrachtung die Schwankungen zwischen primärer affektiver Reaktion und analytischer Betrachtung selbst aufarbeiten muss und sich durchaus ein Dialog zwischen den so genannten "Spiegelneuronen", sprich zwischen den "Partnern" Kunstwerk und Betrachter entwickeln kann, der eine wechselseitige Einfühlung zur Folge hat. Das sehe ich auch so.
Moser interpretiert folgende Kunstwerke: Max Ernst, "Ohne Titel" (Die Riesenschlange), Edvard Munch, "Straße in Asgardstrand", Eduard Manet, "Frühstück im Atelier", René Magritte, "Die Träumerin eines einsamen Spaziergängers", Antje Stocker, "Kopf", Edgar Ende, "Die Begegnung", Paul Delvaux "Der Tunnel", Edvard Munch "Mädchen und drei Männerköpfe", Johann Friedrich Overbeck, "Vittoria Caldoni aus Albana", Pablo Picasso "Familie au bord de la mer", Fernand Khnopff "Ich schließe mich selbst ein", Francis Picabia, "La Mariée", René Magaritte "Die Übungen der Akrobatin, "Pablo Picasso, "Sitzender Mann mit Gewehr", Max Ernst "Oedipus rex", Walter Stallwitz "Gebundene Figuren", Max Ernst "Der keusche Joseph", Victor Brauner "Blutblume", Karin Wiesmann "Frühstück mit dem Panther" und René Magritte "Der bedrohte Mörder".
Als Fan von Magritte habe ich mir natürlich zuallererst Mosers Bildinterpretationen zu diesem Maler vorgenommen und war speziell von seiner Interpretation des Gemäldes "Die Übungen einer Akrobatin" überaus angetan. Er sagt an einer Stelle, dass Magritte, möglicherweise unwissentlich, ein Grundgefühl einer Epoche, einen kollektiven Alptraum gestaltete, der allerdings auch seine "ganz subjektiven, individuellen Korrespondenzen und Krankheitszeichen" besaß, wie sie in eigener Form auch von Otto Dix, George Grosz, Max Beckmann, Käthe Kollwitz und vielen anderen damals in ihren Bildern zum Ausdruck gebracht wurden. Moser erinnert daran, dass vor dem Hintergrund der zerfetzten Körper durch den 1. Weltkrieg die sich verrenkenden Glieder der Akrobaten in Revuen und im Zirkus eine besonders starke Wirkung auf die Menschen hatten. Das erklärt der Psychoanalytiker gut nachvollziehbar und geht psychologisch in seinen Ausführungen in die Tiefe. Moser sieht in Magrittes Gemälde letztlich eine Pionierleistung im Hinblick darauf, körperliche und seelische Zerrissenheit bildlich darzustellen.
Natürlich ist es unmöglich im Rahmen der Rezension auf alle Bilder einzugehen, aber ich denke, der Leser wird aufgrund der Kurzdarstellung zu Magritte in etwa verstehen, worum es Moser geht. Der psychologisch geschulte Blick auf Kunstwerke eröffnet m.E. ganz neue Dimensionen und zwar solche, die sich hinter der Farb- und Formbetrachtung auftun und die Farb- und Formbetrachtung möglicherweise erst zu einem tatsächlich aufschlussreichen Erlebnis machen.
Moser thematisiert im Rahmen der Bildinterpretationen u.a. die Pubertät und Ablösung, die ewige Jungfräulichkeit, die erotische Versuchung, Angst vor Missbrauch und dergleichen psychologische Phänomene mehr. Die besprochenen Bilder sind im Buch alle abgebildet, so dass man die gedanklichen Schritte Mosers gut nachvollziehen kann.
Ein aufschlussreiches Buch, das ich kunstinteressierten Lesern gerne empfehle.
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