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Rezension: Illusions of Reality: Naturalismus 1875 - 1918 (Gebundene Ausgabe)

Dies ist der Katalog zur Ausstellung "Illusions of Reality"- Naturalismus 1875-1918, die vom 6. Oktober 2010 bis 16. Januar 2011 im Van-Gogh-Museum in Amsterdam gezeigt wird.

Mit naturalistischen Malern habe ich mich bislang nur wenig befasst. Um so neugieriger war ich auf das vorliegende Buch, das aufgrund vieler Farbabbildungen und Farbtafeln die thematische Bandbreite der künstlerischen Auseinandersetzung illustriert und eindrucksvoll belegt, wie Naturalismus über nationale Grenzen hinaus in verschiedenen Ländern unterschiedliche Schwerpunkte entwickelte.


Nach einem Vorwort von Axel Rüger und Maija Tanninen-Mattila hat man Gelegenheit sich im Rahmen der Einführung von Edwin Becker und Gabriel P. Weisberg theoretisch in den Naturalismus zu vertiefen. Dieser ist im Allgemeinen die epochenübergreifende Bezeichnung für eine kunsttheoretische und künstlerische Grundeinstellung, die davon ausgeht, dass das Ziel der Kunst in der möglichst getreuen Wiedergabe der sichtbaren Natur- bzw. Wirklichkeit unter größtmöglichem Verzicht auf Stilisierung, Symbolisierung und Abstrahierung etc. besteht. Charakteristisch für die Darstellung ist die Detailgenauigkeit bis hin zum Häßlichen, (vgl.: S. 13 ff).

Als Richtung der Kunst- und Kunstgeschichte bildete sich der Naturalismus vor allem im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts heraus. Emile Zola fixierte den Begriff theoretisch, indem er die scharfe Beobachtung und schonungslos exakte Beschreibung des Künstlers mit der Tätigkeit eines Naturwissenschaftlers verglich, (vgl. S. 25-26).

Die Bewegung des Naturalismus kann sowohl als Negativreaktion auf die vorangegangene Epoche der romantischen und idealisitisch geprägten Kunst als auch als kritische Antwort auf gesellschaftliche Umwälzungen der industriellen Revolution verstanden werden. Aus diesem Grund auch wurden für den Naturalismus sozialphilosophische Theorien, etwa jener von Hippolyte Taines (vgl.: S. 24), nach der der Mensch als natürliches Produkt von Milieu, Erbe und historischem Zeitalter gesehen wird, herangezogen.

Im Buch werden thematisiert:
-Neubestimmung des Naturalismus

-Fotografie als Hilfsmittel der Illusion- Die Konstruktion der Realität

-Naturalistische Themen in Zeiten des Umbruchs

-Interpretation des modernen Lebens- Die kritische Rezeption

-Der natürliche Norden- Russland und die nordischen Länder

-Naturalismus auf der Bühne

-Der frühe naturalistische Film- Massenmedium und Malttradition

-Die niederländlische Malerei und der Naturalismus.

Man lernt u.a. Gemälde von Thomas Anhutz kennen. Seine "Eisenarbeiter bei der Mittagspause", 1880 werden näher erläutert. Thematisiert auch wird die melancholische Stimmung des Land- und Stadtlebens. Hier haben mir die Gemälde Jules Bastien-Lepage "Heuernte", 1878 und István Csók "Heumacher", 1890 am besten gefallen. Bildgegenstand im Naturalismus sind auch Fabrikszenen und Gewerbe, wie etwa Jean-André Rixens "Die Walzen des Stahls", 1887, die Welt der zeitgenössischen Politik, auch die Darstellung des Glaubens, sehr schön gezeigt in Gari Melchers "Die Predigt", 1886. Es werden eine Vielzahl von Malern näher vorgestellt, darunter Èmile Friant, Lèon Lhermitte und Albert Bettanier, aber auch Künstler aus dem Norden, wie etwa Eero Järnefelt.

Zolas "Germinal" kommt zur Sprache und auch die Neuverortung des Naturalismus. Beeindruckend ist der Katalogteil ab Seite 162- 212. Die präsentierten Gemälde zeigen zumeist arme, erschöpfte, schwer arbeitende Menschen, thematisieren die Ausbeutung der Bevölkerung in der Gründerzeit und die Flucht in den Glauben, in das Gebet, dass es irgendwann besser werden möge. Das Leid der Menschen entsteht, das machen die Bilder deutlich, fast immer aus der Gier Einzelner. Daran hat sich seit den Zeiten des Naturalismus nichts geändert. Zola bringt es auf den Punkt: "Die Menschen sollen Menschen bilden, in dem sie sie als Menschen behandeln." Wie Recht er doch hat.

Empfehlenswert.


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